Einsamkeit.

Carly ist gerne allein. Aber nicht gerne einsam. An Bord ist man inmitten von 3.000 bis 7.000 Menschen selten wirklich allein und oft trotzdem einsam. Das Leben als Seefahrerin ist oft deshalb einsam, weil sowohl landseitig, wie auch auf See, ist frau ja nie ganz da. Jeder Aufenthalt ist temporär.

Der Urlaub zu kurz, die Einsätze zu lang, selbst wenn ein Gleichgewicht besteht. Und jede Zeitspanne hat zusätzlich ihre Höhen und Tiefen. Tage, Stunden und Wochen, die schnell vergehen, weil sie von Spaß, Genuss, Lebensfreude und guten Erfahrungen geprägt sind und Minuten, Nächte und Monate die sich ziehen wie Kaugummi und kaum enden wollen, weil Traurigkeit, Unsicherheit, Erschöpfung und Zweifel keinen Raum lassen für irgendeine Art von positiver Energie.

Carly hat alles erlebt. Das Kribbeln voll freudiger Erwartung und Ungeduld, wenn das Schiff durchs Taxifenster in Sichtweite kommt und sie euphorisch dem Aufstieg entgegenfiebert. Mit dem Wissen, dass sie viele Wochen und Monate der harten Arbeit und der Entbehrungen erwarten. Aber eben auch neue Abenteuer, Menschen und fremde Kulturen und die unglaublichen Geschichten, die das Leben eben schreibt, wenn man sich darauf einlässt.

Das befreiende Lachen und der Feierabend-Ouzo, geteilt mit den Menschen, die einen an Bord begleiten und mit denen man einfach alles schaffen kann, auch wenn die Fülle der Aufgaben und die Tiefe der Gefühle manchmal unüberwindbar oder erdrückend scheinen. Die weißen Strände, die grünen Berge, die blauen Küsten und das bunte Leben in unbekannten Orten der Erde, die zur Heimat werden, wenn das Schiff jede Woche wieder im selben Hafen anlegt. Da, wo der Supermarkt oder ein Restaurant mit lokalen Köstlichkeiten zu Fuß oder mit dem Rad erreichbar sind oder eine Taxifahrt den Weg zu einem Ort unter Palmen bedeutet.

Doch nicht jeder Tag ist ein guter. Genau wie im „echten“ Leben. Oft sogar noch schwieriger, aufgrund des stetigen Wechsels des Alltags zwischen Land und See. An Bord gehen die Uhren anders. Es gibt keinen Rückzug, keine Verschnaufpause von den Eindrücken, kein Ventil für die Gefühle. Der Fahrplan des Schiffes bestimmt das alltägliche, allwöchentliche und allmonatliche Leben. Der Hafen bestimmt die Pausenzeiten. Und das Mittagessen. Und die Möglichkeiten, zum Einkauf von Eiscreme, Souvenirs aus Olivenholz oder Kühlschrank-Magneten.

Und die Crewmitglieder, die sich an Bord die Arbeit teilen bestimmen die sozialen Kontakte für mehrere Monate. Carly hat schnell gelernt, dass Freundschaften vorsichtig geschlossen werden sollten. Nicht nur, weil aufgrund unterschiedlicher Einsatzplanungen der gemeinsame Lebensabschnitt recht kurz ausfallen kann. Auch, weil ein gutes Gespräch oder ein gemeinsamer Crewausflug noch lange keine tiefe Freundschaft ausmachen. Auch wenn viele Kollegen genau so leben und Carly sich über die Abschiedstränen am Wechseltag eigentlich immer nur wundern kann.

Und doch kann sie das Gefühl nachvollziehen, dem nachgeweint wird. Einen Freund verabschieden zu müssen, der eine intensive Zeit miterlebt hat, die jeden Einzelnen prägt, tut weh. Es macht den Einen härter, trauriger und einsamer. Den anderen erfüllter, zufriedener und glücklicher. Oder alles auf einmal.

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